Der Wald ist verrucht bis verboten, kein Kind darf dort je hinein, nur ein Obdachloser mit seinen Hunden wohnt dort – aber auch das nicht mehr lange. Nur einer aus der Klasse, der recht brutale Chad, traut sich da durch und erzählt Räuberpistolen. Das begeistert das blonde Girlie Monica am meisten, während die dunkelhaarige Tamaya und der sportliche Marshall ganz schnell unter der krawalligen Oberfläche des Außenseiters leiden und aus Angst vorm Match eher und hintenrum die Schule per Abkürzung verlassen. Durch den Wald, ergo Chads Revier. Dort lauert aber nicht nur der, um sie beide ordnungsgemäß zu vermöbeln, sondern es warten auch jene Schlammlöcher, die das Leben des Trios schlagartig verändern werden, weil sie nicht als Catch-Ring taugen.

Doch „Schlamm oder Die Katastrophe von Heath Cliff“ ist keine Neuauflage von Hänsel und Gretel, auch wenn Ausgangslage und Hexenwerk ähnlich gefährlich anmuten, sondern ein hochaktueller Ökokrimi in postdemokratischen Zeiten, der geschickt den Bogen vom normalen Schulalltag über die Kleinstadt- und Medienhysterie im Katastrophenfall bis hin zu den ganz großen Problemen der Menschheit spannt. Denn in Zeiten ungebremsten Bevölkerungswachstums verbraucht der Mensch ganz rasch seine Ressourcen – die wichtigste Zukunftsfrage (nach jener behufs Trinkwasser) ist die einer Lösung in Sachen Energie. Das humanoide Hauptproblem bleibt aber die Todsünde Gier, die gerne über Leichen geht – jene steckt geschickt en passant hinter der Geschichte von Louis Sachar, die jetzt am Dresdner Theater Junge Generation ihre Uraufführung erfuhr.

Dazu hat sich Regisseur Ronny Jakubaschk eine eigene Fassung aus dem amerikanischen Original gebastelt, in dem er drei Ebenen geschickt verwebt: eine zivilisatorisch-urbane, eine naturell-wilde und eine medial-politische, deren folgenreiches Zusammenwirken trotz der reichhaltigen Rollenwechsel der Hälfte der Beteiligten – nämliche jener der so genannten Erwachsenen – immer erstaunlich klar bleibt und sich somit vor allem nach der frühen Pause zu einem packenden Thriller auswächst.

Dazu gehört die beeindruckende Ausstattung von Ulrike Kunze, die mit Vergnügen mit Größe und Technik der Bühne im Kraftwerk Mitte spielt, vorn Stadt und hinten Wildnis trennt und mit einem klaren Farbkonzept – oft im alten Hausgrün – das Regiekonzept hervorragend stützt.

Einen Teil seines souveränen Oktetts – aus dem Sara Klapp als omnipräsente Tamaya und Lukas Stöger als verquerer Dr. Fitzman, genannt Fitzi herausragen, aber rundherum alle überzeugen – kennt der Regisseur bereits aus seiner jüngsten Dresdner Arbeit, dem Zoo-Robin-Hood. Und wie damals animiert er diese zu einer harmonischen Ensembleleistung. Neben Klapp geben Judith Nebel, Marc Simon Delfs und Moritz Stephan, der hier ganz kurzfristig für den verletzten Julian Trostorf mit bemerkenswerter, fast angsteinflösender Präsenz als Bösewicht einsprang, ein doppeltes Jugendpaar, deren Annäherungen geschickt jugendfrei im vagen Auge des Betrachters bleiben, während die Alten sich in je ihrer Rolle einprägen: Bettina Sörgel als Schuldirektorin und Umweltamtschefin, Erik Brünner als TV-Reporter und Chefarzt und Susan Weilandt als Krankenschwester und Lehrerin. Letzteren beiden bleibt am Schluss, als die Schüler gerettet, die Epidemie gebannt und eine Pandemie verhindert sind, mittels Moralironie das Happy End, denn als Senator und Fabrikchefin sorgen sie dafür, dass sich die Geschichte jederzeit wiederholen kann. Natürlich nur zum Wohle der gesamten Menschheit.

dnn

 

 

So weiß und mächtig sind die Säulen des Schulhauses, dass sie schon etwas Staatstragendes haben. Mädchen und Jungen laufen in blütenreiner Kleidung über den Campus, uniform in gleichen Pullovern für 93Dollar das Stück. Die Lehrer sind froh über ihre Zöglinge: Auf deren Hilfsbereitschaft und kluge Antworten ist meist Verlass. Aber gerade weil an dieser Bildungsanstalt alles auf Hochglanz poliert ist, fallen Kratzer, Schrammen, Beulen besonders auf. Ein Grund dafür heißt Chad. Der Typ mit der blonden Mähne kommt mit seinen Draufgängergeschichten nirgends an. Nun rastet er aus. Chad schlägt einen Mitschüler zusammen und verspricht weitere Prügel, später, im Wald.

Dieses Theaterstück könnte nun als Jugenddrama geradewegs so weitergehen. Doch es nimmt eine völlig neue Richtung. Eine Wand hebt sich und gibt den Blick frei auf den hinteren Teil der Bühne, auf schräge, braune Säulen als Bäume, auf schwarze Folie als Waldboden, über den Nebel zieht. Dort passiert es: Bei ihrer Schlägerei bekommen Chad und Tamaya schleimige Erde ab. Ihre Haut wird sich hässlich verfärben und kratzen. Was ist passiert?

Das Stück „Schlamm oder Die Katastrophe von Heath Cliff“ kam am Samstag im Dresdner Theater Junge Generation zur Uraufführung. Als Vorlage diente der Roman des amerikanischen Kinder- und Jugendbuchautors Louis Sachar, den ein breites Publikum durch die Abenteuergeschichte „Löcher“ kennt. „Schlamm“ ist die zweite Schauspielpremiere auf der großen Bühne, nachdem das TJG vor einem Monat im Kraftwerk Mitte seine neue Spielstätte geöffnet hat. Der Drang zu Stoffen von hoher Relevanz ist unverändert da. Und wird bei diesem Stück gleich doppelt bedient.

Der Ausschlag auf der Haut der Kinder ist nicht etwa erdnussbedingt, wie die Schulärztin abwiegelt. Sondern das Ergebnis eines Unfalls. Eine Firma hat künstliche Mikroorganismen gezüchtet, die als Treibstoff dienen können. Weil mehr und mehr Menschen auf der Erde leben, brauchen wir schließlich neue Energie, sagen Firmenvertreter vor dem Untersuchungsausschuss. Und: Die Mikroben stellten keine Gefahr dar, weil sie bei Kontakt mit Sauerstoff zerfielen. Aber offenbar hat niemand Mutationen vorgebeugt. So breiten sich die Organismen aus. Die Folge: eine Epidemie.

Regisseur Ronny Jakubaschk und Ausstatterin Ulrike Kunze haben ein klares Konzept gefunden, um die Handlungsstränge abzugrenzen. Das Ergebnis ist schön anzusehen. Der hintere Bühnenteil gehört der Außenwelt. Dort stapfen die Kinder durch den Raschelwald, dort fahnden Suchtrupps mit Taschenlampen nach ihnen, dort stellt der Reporter Fragen an die Seuchenschutzexpertin. Im vorderen Teil ist Platz für Schule, Ausschuss und die großen Planen der Quarantänestation.

Vielleicht hat Regisseur Jakubaschk befürchtet, seine Inszenierung könnte brechen zwischen den unterschiedlichen Ebenen, zwischen jungen und älteren Figuren, zwischen Pubertätsdrama und Umweltthriller. Womöglich verbindet er deshalb weite Strecken mit dem Sound einer Akustikgitarre. Die Musik lässt an die Staaten denken, aber sie macht auch alles etwas zu gleichförmig und dämpft unnötigerweise die Actionstimmung der Waldszenen. Hier legt Moritz Stephan als Chad einen beeindruckenden Auftritt hin: Vom Schlamm im Gesicht erblindet, kämpft er sich wie ein halbes Tier voran. Es bedrückt, von Chads trostlosem Familienleben zu erfahren, das erklärt, weshalb er zum Großkotz wurde. Das Gegenteil davon ist Tamaya, gespielt von Sara Klapp als kluge, bis zur Selbstaufgabe helfende Mitschülerin. Lukas Stöger legt seinen Forscher hübsch zappelig-versponnen an.

„Schlamm“ macht auf interessante Art das Dilemma deutlich, in dem ein Teil der Wissenschaft steckt: Lösungen zu liefern für drängende Probleme, ohne dabei neue Gefahren zu schaffen. Im besten Fall hat der Unterricht hinter staatstragenden Säulen darauf vorbereitet, später Verantwortung zu übernehmen.

sächsische zeitung

 

Ein hochaktuelles Umweltfrevelwerk mit philosophischer Tiefe, das Regisseur Ronny Jakubaschk in der wunderbaren Ausstattung von Ulrike Kunze zur Uraufführung brachte. Mit packender Ensembleleistung wächst es sich zum Epidemie-Thriller aus.

 

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