"Wir kommen", eindeutig der stärkste Text des Abends, ist ein Stück von 18 Autor*innen über weibliche Lust. Der Text ist als Kollektivroman erschienen, Jakubaschk dampft ihn auf eine schnelle
Dreiviertelstunde zusammen, in der drei Darstellerinnen sich vor und in einem bunten Vorhang über ihre Sexualität austauschen – inklusive interessanter Kinks und unerwarteter Orgasmen auf
Pferderücken. Tatsächlich ist der Text aber ein Befreiungsschlag. Welche der Autor*innen was geschrieben hat, bleibt anonym, und im Schutz dieser Anonymität schaffen sie es, die Scham über das
Thema hinter sich zu lassen und frei über ihre Lust und ihr Begehren zu reden. Jakubaschk lässt den Text für sich sprechen, ohne viel Tamtam, nur die drei Darstellerinnen verwandeln sich im Laufe
des Trialogs in Showgirls.
Es geht also um Liebe und Lust, durchaus ein bisschen kritisch, durchaus auch politisch, durchaus ein bisschen – wie in "Wir kommen" – als eine Art Befreiungsschlag. Gleichzeitig soll aber auch
eine Abschiedsparty gefeiert werden. Das komplette Ensemble darf noch einmal ran und spielt ein sexy Abschlussfest. Das muss, soll und darf nicht so schwer wiegen, die drei Inszenierungen sind
solide Fingerübungen, die hauptsächlich gute Laune machen und sich nicht zu sehr in den Komplexitäten des politisierten Sex verlieren.
"Sex" ist ein Geschenk ans Publikum zum Abschluss einer Intendanz, inklusive eingebautem Partyturbo: Denn zum Abschluss kommen alle Darsteller*innen noch einmal auf die Bühne und bitten zum
großen Tanz, dazu – nicht ganz unwichtig in Zeiten repressiver Gesetze gegen genau solche Dinge – die Diversität und die Schönheit von Sex und körperlicher Nähe zu feiern, den Spaß und die Lust.
Nachtkritik
Ein sehr schöner Abschied. Zum Abschluss gibt es ein Fest mit möglichst vielen Beteiligten, ein Triptychon der Triebe. Eine tiefschürfende Auseinandersetzung mit dem Thema sei bei einer solchen Abschiedsrevue nicht unbedingt zu erwarten, und die gibt es auch, wenn überhaupt, nur in Ansätzen.
Hannoverschen Allgemeinen Zeitung / Neuen Presse
Sonja Anders verabschiedet sich mit einem starken Finale - kraftvoll, witzig und kurzweilig. Regisseurin Friederike Heller kontrastiert die Männerrollen aus "Kurze Interviews mit fiesen Männern" mit der Rolle männlicher Tiere im Ameisenbau. Weiblich und persönlicher wird's in 'Wir kommen'." "Sex Play" gerät dann etwas plakativ vermittelt. Doch das schmälert nicht den insgesamt kraftvollen, witzigen und kurzweiligen Eindruck des Abends - der am Ende mit begeistertem Applaus gefeiert wird. NDR
Das zweite Klein-Teil des Abends ist noch kürzer, aber gedanklich deutlich ernster zu nehmen. Unter dem Dach des Literaturkollektivs Liquid Center sind kluge und selbstreflexive Dokumente moderner Weiblichkeit versammelt. Die eher zurückhaltende Inszenierung von Ronny Jakubaschk konzentriert sich sehr kompakt auf die drei spielenden Frauen, Anja Herden, Amelle Schwerk und Helene Krüger. Intensiv und sehr rückhaltlos intim nehmen sie sich ein wenig Zeit für die Erforschung eigener Sexualitäten. Der Raum von Sabine Kohlstedt, eine drehbare Showbühne mit vielerlei Vorhängen, wird hier wirklich genutzt – fürs Verschwinden im Schattenriss wie fürs Offenbaren dessen, was Frau gerade will: von anderen Frauen, von Männern, von sich selbst. Die Deutsche Bühne
Nun aber: „Wir kommen“. Den Text haben 18 deutschsprachige Schriftsteller:innen anonym miteinander verfasst, angeleitet und redigiert vom Literaturkollektiv Liquid Center. Für die
Inszenierung von Ronny Jakubaschk wurde die Vorlage von 200 auf 18 Seiten gekürzt.
Anja Herden, Helene Krüger und Amelie Schwerk parlieren mit den Textresten in humorvoll lässiger Selbstverständlichkeit vor allem aus weiblicher Sicht über Wünsche, Fantasien, mediale Bilder und
die Realität des Sexalltags. Ob drastisch, queer, sanft, schmerzenreich – Erfahrungen und Gedanken innerhalb und abseits des aktuellen Konsens werden in heiterer Zugewandtheit und pointierter
Klarheit ausgesprochen.
Der erste große Lacher des Abends entzündet sich an der Aussage: „Ich bin an Männern interessiert, aber es nervt.“ Aber dann hat sie „Sex mit G.“ und alles davor verkommt in ihrer Erinnerung „zu
schnödem Geschabe und Geruckel“. Etwas verdruckster ist das Gelächter beim Bekenntnis: „Ich will ficken wie ein Vieh. Ekstase ohne Denken. Pure Lust.“
Irritiert beschmunzelt werden die Geständnisse, aufs Ausgeliefertsein oder „dicke Jungstitten“ oder „geil eklige“ Sachen zu stehen. Nicht so Sexfixierte, heißt es, bevorzugten Kuchen. Diskutiert
wird auch das Verlangen nach Mutterschaft und ob es Lust ohne ein Gegenüber geben kann.
Keck dann der Argumenteaustausch, ob Frauen vor Haustieren masturbieren oder sich auf Pferden die schönsten Orgasmen erreiten dürfen. Besonders ausführlich wird Sex im Alter diskutiert. Was
Frauen dafür tun? Etwa Leggings im Leopardenprint anziehen. „Meine Beine in den Stretchröhren strahlen etwas Lauerndes aus, etwas Angriffslustiges, Kraftvolles. Ich gefalle mir, fühle mich auf
seltsame Art potent.“
Was die Freundin kritisiert als „Strategie älterer heterosexueller Frauen“. Sie würden sich diese martialische Kleidung „als Tarnung überwerfen, um zu signalisieren, dass sie noch sexuell
verfügbar sind.“ Es ist herrlich schonungs-, aber nie schamlos wie hier über die angeblich natürlichste Sache der Welt geredet wird. In diesem Selbstverständigungstheater geht es um die
Bestärkung des Wunsches, sich nicht mehr für seine Lust zu schämen. Ein gelungener Versuch, Verklemmungen zu lockern. taz
Der Abend ist eher locker plaudernde Gala als künstlerisch anspruchsvolle Inszenierung, das Setting eine Showbühne mit langen, himbeerroten Vorhängen (Bühne Sabine Kohlstedt), die Texte von belanglos über anekdotisch bis hemmungslos empowernd. Das gesamte Ensemble ist dafür ein letztes Mal auf der Bühne zu sehen, mal in Leggins, mal mit Zylinder, mal in Glitzer oder mit üppigen, krausen Vulva-Krägen. Theater heute