Man wird sich den Namen merken müssen. Denn da geht einer mit gnadenloser Konsequenz ans Werk.

Neue Züricher Zeitung


Ronny Jakubaschk trimmt den „Krug“ auf Zirkus und landet einen Volltreffer. Er hat sich den Klassiker kraftvoll und mit viel Spaß zur Brust genommen, aber er geht das Stück nicht nur äußerlich forsch an, sondern schiebt Textpassagen zwischen Figuren und Zeitabläufe munter hin und her, ohne ihm zu schaden. Die Figuren werden schlüssig zu einer zerstrittenen Zwangsgemeinschaft und spielen dem Gerichtsrat Walter eine Posse vor. Lorenz Nufer gibt diesen Rechtsaufseher als eine Mischung aus der bösen Hexe von Oz und Nick Cave und lässt alle genüsslich nach seiner Pfeife tanzen. Die Geschicht um den Krug wird ein Spiel auf Zeit, aufgebauscht zum Großverbrechen, damit der Kontrolleur die schwarzen Kassen vergessen und sich bald vom Acker machen möge. Bei aller Clownerie lässt die Verkleidung der Figuren durchblicken, dass sie ihre Probleme haben. Marthe verrutscht stets das Tuch, Ruprecht humpelt versehrt und Eve steht pinkhaarig zwischen Pubertät und dominanter Mutter. Gerichtsschreiber Licht sind in seiner Jacke die Hände gebunden. Wenn er seine Protokolle in die Luft tippt, klappert das Band der Schreibmaschine, und die Klatsche, die er jedes Mal von Adam verpasst bekommt, wird zum Running Gag. Das ist dick aufgetragen, macht aber immer wieder großen Spaß. Andrea Bettini darf mit kraftvoller Stimme Würde gaukeln und muss doch panisch wie Louis de Funes versuchen, den Clan zusammenzuhalten.Schließlich speien sie ihm in der Ad-hoc-Story vom kaputten Krug ihre bitteren Vorwürfe unter Walters Augen so ins Gesicht, dass sie doch geheim bleiben. Selbst, wenn sich Marthe mal freudianisch vergaloppiert und den „Kinderficker“ schnell in „Kesselflicker“ ummünzt. Zu guter Unterhaltung wird das ohnehin. Jakubaschk und seiner offensichtlich mit großem Spaß aufspielenden Truppe gelingt es, das Stück zugleich bei den Hörnern zu packen und doch die Konflikte und Verlertzungen zu erhalten. Dass er bei allem Zirkusgeklingel auch noch wie nebenbei Raum findet für psychologische Ausleuchtung, ist ihm hoch anzurechnen. Wenn sich die Alten darauf verständigen, mit Leberecht ein Alter Ego für den schuldigen Adam zu finden, beginnt sie, das eigentliche Opfer, für ihr eigenes Recht vor einem läppischen Gericht zu kämpfen. Und wenn sie ihren Ruprecht anfleht, wird der leise Glöckchenkitsch sogar anrührend. Wo bei Kleist der überführte Dorfrichter aus dem Saal fliehen muss, zieht Jakubaschk weniger versöhnliche Saiten auf. Das Recht hält am Ende doch als korrupte Mischpoke zusammen. Eve erbittet die Adresse des Berufungsgerichts: Doch in neuer Eintracht mit Adam bläst der Stelzenmann dem naiven Opfer des Richters mit hämischer Freude Glitzersternchen ins Gesicht: Träum weiter, Kleines.

Der Sonntag


Hereinspaziert in den Zirkus der Monstrositäten: Mit dem Holzhammer wuchtet Ronny Jakubaschk den Figuren  die menschliche Seele aus dem Körper und dreht so das Lustspiel zur tragischen Farce. Statt dem Gerichtssaal  sehen wir uns einer Zirkusmanege gegenüber. In der Manege Clowns in grellbund-gestreiften Kostümen, mit entstellend geschminkten Gesichtern, geschienten, langgezogenen, eingezwängten oder verkrüppelten Körperteilen und schauderhaften Frisuren zwischen blau-roten Podesten. Ein mit einem verzerrten Sternbanner und Schweizerkreuzen bemalter Gazevorhang trennt die Manege von den Zuschauerreihen, als wäre er ein Schutzgitter gegen das unberechenbare Raubtier Mensch. Und fast etwas verwundert nimmt man zur Kenntnis, dass diese entstellten und wie Gliederpuppen zappelnden Clowns die beispiellos feingeschliffene Sprache Kleists sprechen.Die Figuren  könnten einem irrwitzigen Cartoon entliehen sein. Der klumpfüssige Dorfrichter Adam (ein virtuoses Kabinettstück von Andrea Bettini) scheint dem Höllenreich selbst entsprungen zu sein. Die sprachlichen Verrenkungen, mit denen er sich aus dem Schlamassel herauszuwinden versucht, übertragen sich auf seine Bewegungen. Das Opfer Eve ist als geschändete junge Frau gefangen in einer Spieldosenpuppen-Hülle. Wenn der riesenhafte Gerichtsrat Walter  mit seinen überlangen Beinen auf den Boden stampft, bebt die Erde, während Schreiber Licht in einer Art Zwangsjacke steckt. Das Erstaunliche an diesem Abend ist, dass sich die Lächerlichkeit der bis ins Letzte verzerrte Figuren nicht negativ auf den Gesamteindruck überträgt, den der Abend hinterlässt. Das mag daran liegen, dass Ronny Jakubaschk das Geschehen präzise durchchoreografiert hat und die wunderbare Sprache ihre faszinierende Bildhaftigkeit behält. Gerade durch die gnadenlose Überzeichnung der Figuren wird aus dem sprachlich kunstvoll gesponnenen Lustspiel eine bittere Tragödie.

Tageswoche


Das wird keine derbe Dorfposse, soviel ist schon beim Eintreten klar. Statt einer staubigen Gerichtsstube sehen wir eine Manege umgeben von bis zur Decke hochgezogenen Netzen: Darin tummeln sich aber keine Raubtiere sondern Figuren in schreiendfarbenen Kostümen und schrillfarbigen Toupets. Sie drehen sich grinsend und wie Puppen im Kreise, absolvieren etwa wie mechanisch Verbeugungen. Dazu repetieren sich Schnipsel einer Art Drehorgel-Musik. Goldene Glitterstreifen fallen vom Bühnenhimmel. Nicht bloß der Dorfrichter, das ganze Dorf sperrt sich gegen den hohen Gerichtsrat Walter. Der stakst da auf riesigen Stelzen und geschminkt wie ein böser Zauberer ins Wunderland von Oz herein. Er will nicht nur die juristische Praxis des Richter Adam prüfen, sondern auch die Kassenführung. Die Dorfleute verziehen das Gesicht. Wütend stampft der Gerichtsrat auf. Die Bühne zittert. Die Lautsprecher donnern.Gar bedrohlich wie Nosferatu im Stummfilm von Murnau verkrümmt er seinen meterlangen Körper, breitet seine Arme aus wie ein Aasgeier seine Flügel, um das bunte Völkchen zur Ordnung zu rufen. Hier auf der Bühne, zwischen den buntbestrahlten Zirkusnetzen, ist alles Action. Die Kleistschen monströsen Sprachbilder haben die Theatermacher hier "nach aussen" gestülpt und in einen grotesken Bühnenmärchen-Comic verzerrt. Alles geht schnell. Nichts hat Weile. Gerichtsdiener Licht zappelt umher in einem Pulli ohne Ärmel, übt sich zusammen mit Eve und Jüngling Rupprecht in eckiger Hampelmann-Bewegungsnervosität. Der Gerichtsrat Walter vernimmt als hohläugiges Ekel mit grünem Haarspitz auf der Stirne gleich mal den Dorfrichter ein, woher dieser denn seine prächtig blutenden Wunden auf der Glatze habe. Dann endlich beginnt der Prozess. Beinahe widerwillig bringt Witwe Marthe Rull unter diesen Umständen ihre Klage vor. Aber zunächst mal zählt sie bis ins letzte Detail, welche Krönungen, Kriege und sonstigen Dramen auf dem Krug abgebildet waren. Das geht hier nicht, ohne die verschiedenen Bilder-Arrangements flugs mit den Bühnenfiguren nachzustellen. Passend dazu flappst ihr statt dem Wort Kesselflicker ein "Kinderficker" raus.Spätestens hier jedoch wird klar, wie sehr sich der Dorfrichter gegen jede weitergehende Ermittlung sperrt. Dem Rupprecht als Angeschuldigtem will er glatt das Rederecht verweigern. Denn der wird sagen: Ich habe einen anderen in der Kammer meiner Eve gesehen. Auch hier spielt Rupprecht jedes Wort gestisch nach, wird szenisch unterstützt mit einer Tonspur. "Metze", ruft Rupprecht jetzt nach seiner Aussage seiner Eve zu. Der Abend mit 90 mitunter unterhaltsamen Theaterminuten hängt kaum je durch. Die für heutige Theatermacher hohe Hürde der alten Sprache fällt nicht allzu sehr auf. Das Publikum applaudierte kräftig.

onlinereports


In Basel spielt das Drama um den Dorfrichter Adam in einer Zirkusmanege. Das Dorf ist farbenvoll kostümiert, wild geschminkt, die Bewegungen sind puppenhaft, pantomimisch, überzeichnet. Eine bunte Gaze trennt das Publikum von der Bühne. Goldglitzer fliegt durch die Luft, Ton- und Lichteffekte spielen eine zentrale Rolle. In dieser Stimmung kommt Gerichtsrat Walter zum Finanzen prüfen. Auf hohen Stelzen betritt er die Bühne, grinst und wird vom Dorf, dem Richter und seinem Schreiber begrüßt - man hört es gleich: Da hocken alle im gleichen Boot, korrumpiert, verfilzt ist die Gesellschaft. Und Adam spricht sogar offen aus, dass man halt jetzt zusammenhalten muss. Von der komplizierten psychologischen und moralischen Verästelung hat der Regisseur Ronny Jakubaschk wenig übrig. Ihn interessiert die Verfremdung, Künstlichkeit,Verzerrung der Geschichte. Und was passiert, wenn sie in das polternde Zirkusskorsett gepresst wird. Der freie Umgang mit dem Originaltext, viel Tempo und das überzeichnete Spiel vom Ensemble bringen so ein Gesellschaftsbild auf die Bühne, das wenig schmeichelhaft ist: korrumpiert, unmenschlich hinterlistig und gierig ist die Welt, dazu übersexualisiert und machtfokussiert. Wo in unserer realen Welt diese burleske Gesellschaftskritik anzuwenden ist, lassen der Regisseur und das Ensemble das Publikum zum Glück selbst entscheiden. Was ihnen aber gelingt, ist, in der überkünstlichen und  kunstvoll gestalteten Bühnenmanege Fragen nach der Wahrheit und zwar durchaus im Sinne von Kleist neu zu stellen.

Schweizer Radio


Regisseur Jakubaschk überrascht das Publikum im Basler Theater mit seiner Neuinterpretation und inszeniert skurrile Figuren im Zirkus. Er hat sich des Stückes bemächtigt, die Sprache von Kleist übernommen, den Text gekürzt und der stilisierenden Absicht angepasst. Die Regie zeigt: Die Richterei ist ein Zirkus, eine gestelzte, skurrile Macht. Jakubaschk zieht eine Bilderflut durch. Der Schluss wird geändert, Personen gestrichen. Und als Eve auf der Frage nach nach der Gerechtigkeit besteht, bläst ihr das Theater einen Glimmersturm entgegen und mit einem Schnipp wird das Spektakel beendet. Ronny Jakubaschk scheint nicht viel von der Rechtsprechung zu halten, aber auch von den Menschen nicht.

Sonntagszeitung

 

Regisseur Ronny Jakubaschk bringt das Gerichts-Drama in einer stark verschlankter, rasant-komischen Umsetzung auf die Bühne. In der Justiz-Posse agieren die Figuren als eine Art mechanische Puppen mit stark überzeichneter Gestik - sehr zum Vergnügen der Zuschauer. Die anderthalbstündige Inszenierung ist rasant, kurzweilig, spannend. Jeder Regieeinfall sitzt und überzeugt. Die Sprache ist reiner Kleist, aber die Figuren sind stark überzeichnet. Sie bewegen sich mechanisch wie Schießbudenfiguren, Eve mit ihren rosaroten Haaren, Gerichtsrat Walter auf riesigen Stelzen, der köstlich-verkrampfte Schreiber Licht, der alles brav tippt und immer eins hinter die Löffel bekommt und Andrea Bettini bravourös als Richter Adam, der auch dann noch den großen Zampano gibt, wenn er schon lange enttarnt ist als blutverschmierter, tief gefallener feiger Lüstling. Ton- und Lichteffekte werden mit großer Wirkung eingesetzt. Und wenn man nicht wüsste, dass in vielen Teilen der Welt Justiz genau so funktioniert, wärs ein uneingeschränktes Vergnügen.

Radio Basel

 

Zu erleben sind schrille Kostüme, ein Kasperln und Kreiseln, ein Augenwischen und Ohrenpusten; die Soundmaschine quietscht, knarrt, scheppert, zischt; der Wortwitz und die Slapsticks, die Kleists Komödie in aller Offenheit zulassen, werden eher ausgekippt als ausgespielt.

Basler Zeitung

 

Kleists Dorfrichter Adam als Päderast, als "Kinderficker", wie es Marthe in einem bewussten Versprecher sagt: Ronny Jakubaschks Interpretation des "Zerbrochnen Krugs" ist gewagt, aber noch schlüssig. Der 1979 in Guben (DDR) geborene Regisseur tut dem Lustspielklassiker auf der Kleinen Bühne des Basler Theaters damit jedenfalls keinen Zwang an. In Kleists Text sind Ausbeutung, Missbrauch und Willkür gegenüber Schutzbefohlenen und Abhängigen enthalten. Der in Berlin lebende Regisseur verpackt dieses Wechselspiel von Macht und Ohnmacht in eine schrille Freakshow. Schon die als Prolog thesenhaft vorangestellte Vergewaltigung, in der sich Adam die schreiende Eve nimmt, lässt keinen Zweifel, wohin die Inszenierung zielt. Das ist zwar ein penetranter Fingerzeig, öffnet aber auch Assoziationsbrücken in die Gegenwart – bis hin zu den Missbrauchsskandalen in der Odenwaldschule und der katholischen Kirche. Konsequenterweise setzt der 32-Jährige auch im Weiteren auf Pepp und Pop, um Kleists 200 Jahre alten Prototyp eines Gerichtsstücks um die Machenschaften eines Dorfrichters den Staub aus den Silben und Satzreihen zu klopfen.Jakubaschk komponiert das Sextett mit Hilfe hoch dosierter Effekte, mittels Pantomime und choreografischer Mittel zu immer neuen symbolhaften Standbildern. Das erinnert an Marionetten und Puppentheater. Ein Sujet, das Kleist in dem Essay "Über das Marionettentheater" beschäftigte und das die Vergegenständlichung des Individuums treffend versinnbildlicht; ebenso trefflich eignet es sich aber auch dazu, die vertrackte und zerhackte Sprache Kleists bühnentauglich aufzuarbeiten. Was Jakubaschk ausgiebig nutzt.Die Inszenierung gewinnt durch diese Überzeichnungen: Sie vermischt Zirkusnummer mit Puppenspiel, Show mit Slapstick, ist mal Parodie, dann Posse, mal kitschig, dann klamaukig, wird nach dem Wirbel auf dem Laufsteg am Ende aber wieder ganz aktuell. Wie in dem berühmten "Variant" des Lustspiels angedeutet, lassen Jakubaschk und Wigger den überführten Richter nicht entkommen; vielmehr inszenieren sie seine Verbrüderung mit dem Gerichtsrat: Zwei Männerfreunde, die die festgefügten (Macht-)Verhältnisse lächelnd perpetuieren: Eine Aufarbeitung, die dem Klassiker ganz neue Seiten abgewinnt.

Badische Zeitung

asyl im paradies

meiningen

07.04.24

05.05.24

 

galileo galilei

karlsruhe

05.05.24

25.06.24

01.,04.,16.07.24

  

zwei herren

hannover

23.,30.03.24
 

effingers

karlsruhe

28.03.24

 12.&25.04.24

03.,09.,31.05.24

15.,23.06.24

18.07.24

 

 

gulliver

halle

19.-21.06.24