Ronny Jakubaschk modelliert in den knapp 90 Minuten einer sezierenden Strichfassung eine nüchtern-präzise, moderne Hedda-Analyse. Schon die Bühne ist hier kein Wohnzimmer von über ihre Verhältnisse lebenden Spießern und keine Schickeria-Designermöbelhölle, sondern eine schwarz-weiß gemusterte Spirale, die optische Illusion endloser Bühnentiefe, kühler Schwung, dunkler Sog ins schwarze Nichts – den Tod. Dem entsprechen auch die Kostüme: Hedda erscheint als strahlendweißer Schwan, ihre Spielgefährten sind mehr oder weniger grau gewandete Eminenzen der Mittelmäßigkeit oder, als Todeskandidat, in existenzielles Schwarz gehüllt.

Aber welcher Teufel treibt nun Hedda Tesman, geborene Gabler an, von der frisch vermählten Ehefrau zur Selbstmörderin zu werden? Die Aufführungsästhetik gibt einen Hinweis: stilvolle Leere. Die Sehnsucht nach der Schönheit radikaler Taten behauptet Hedda noch, die äußere Schönheit ihrer Erscheinung pflegt sie damenhaft, wirkt gleichwohl völlig haltlos. Ihre Gefühlsblindheit überspielt sie mit intellektuellem Scharfsinn, ist aber unfähig zu Liebe und Empathie. Eine Eisprinzessin.

Mit fröstelndem Ekel entwindet Hedda sich den Berührungen ihres Ehemanns. Umarmt dieser aber Thea, geht sie wieder dazwischen. Die großbürgerliche Generalstochter füllt die Degradierung, nur noch kleinbürgerliche Ehefrau zu sein, mit einem eisigen Willen zur Macht. Und verfällt dem Wahn, alle und alles steuern zu müssen. Die daraus resultierenden Taten sind nicht mutig, nur rücksichtslos: Eine einsame Narzisstin probiert Rollen aus, weil sie keine eigene hat. Überkontrolliert und berechnend lockt Hedda die Menschen an, weidet sie aus, stößt sie weg oder hetzt sie aufeinander. Eine zerstörerische Persönlichkeit, die mit Selbstzerstörung endet.

Diese Hedda könnte sich und andere in jeder TV-Serie zugrunde richten, weil sie alles hat, was heute so verlangt wird für den städtischen Nahkampf, zum erotischen und beruflichen Erfolg. Piekfeine Garderobe schmeichelt dem sportlich modellierten Körper, cool auf Macht, Autonomie und Konsum bedacht ist das Handeln. Wäre sie nicht doch von Ibsen, hätte Hedda auch ihren Michel Houellebecq gelesen.

Nun aber resümiert sie: „Alles, was ich berühre, wird klein und lächerlich! Es ist wie ein Fluch.“ Oder eben die Konsequenz einer tadellosen Selbstverwirklichung. Die Oldenburger Zuschauer erleben einen Psychothriller, der keine Entwicklung nachzeichnet, sondern eine Persönlichkeitsstörung beschreibt. Hedda Gabler ist unter uns.

taz

 

Dass mit dieser Dame nicht gut Kirschen essen ist, merkt man, als ihre Gesichtszüge zum ersten Mal einfrieren, als klar wird, dass sich ihr frisch angetrauter Gatte finanziell übernommen hat und sie gezwungen sein wird, künftig viel Zeit mit ihm allein zu verbringen. Seine Aussichten auf eine Professur schwinden, ihre Ansprüche bleiben – ebenso wie ihr Ekel vor der Mittelmäßigkeit.

Wie gut, dass Eva Maria Pichler als Hobbyschützin Hedda Gabler, die sich gern mal zur Waffensammlung ihres Vaters flüchtet und eine Runde herumballert, diese Mimik so perfekt beherrscht – diesen kleinen fiesen Zug um den Mund, das fast unmerkliche Kippen der Stimmung, dieses gierige Glitzern in den Augen, mit denen sie auf ihren Ehering blickt: bestimmt teuer.

nordwestzeitung

 

Schon das geschickt gewählte Bühnenbild – schwarz-weiße, schräg gemusterte, seitlich in die Tiefe des Raums führende Wände und schwankende Böden – signalisiert entfremdete Frostigkeit in der kühlen Ästhetik bürgerlicher Geschmacklosigkeit. Es besteht von Anfang an kein Zweifel, wie dieses junge Paar zu einandersteht; zwar hebt Tesmann seine Frau  vorschriftsgemäß über die Schwelle des großen Hauses, aber ihr banales Gespräch verharrt im kühlen Konversationsstil mit stechenden Aufrichtigkeit.  Hedda wärmt sich am glitzernden Ring, da sie nur leicht und elegant gekleidet, der einem Oberkellnerfrack ähnlich gestärkten weißen Hemdbrust ihres Ehemannes kaum wohlige Wärme abzutrotzen vermag. Und sie gestehen einander mit perfekter Beiläufigkeit, was sie von einander erwarten: Geld und Geltung, Befriedigung des beruflichen Ehrgeizes, Titel und Glanz auf dem Parkett der bürgerlichen Eitelkeit.
Regisseur Ronny Jakubaschk hat eine stimmige, rasch ablaufende Inszenierung auf die schwarz-weiße schräge Bühne gebracht, auf der sich die Tragödie um die verwöhnte und frustrierte Generalstochter Hedda Gabler und den begabten Wissenschaftler Eilert Lövberg kammerspielartig in einer Tiefkühlatmosphäre entwickelt, in dem sogar beinahe auch das Feuer gefriert.
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