In der „Box“ des Deutschen Theaters stellen sich die Figuren hinter eine Plexiglaswand auf. Alles ist sichtbar und doch klar getrennt. Unser „zubetoniertes“ Inneres lässt sich nicht offenlegen. Ronny Jakubaschk verzichtet glücklicherweise darauf, den Text effektvoll breitzutreten, und versucht ihm stattdessen mit wenigen Mitteln Halt zu geben. Wirkung wird hier außer durch ausgefallene Kostüme (Matthias Koch) vor allem durch ein stummfilmhaftes verfremdetes Spiel erzielt: Vor allem Lorna Ishema als Florentina bewegt sich gekonnt zwischen Kalauer und Wortwitz und bringt viel Tempo in den Abend.

frankfurter allgemeine zeitung

 

Was Elias Arens, der wie ein Vampir mit blutigen Händen auftritt, beim Sprechen und Zuhören scheinbar unbeabsichtigt mit seinen Beiß- und Kau- und Schluckwerkzeugen macht, verdeutlicht auf das Schönste die organische Nähe von Essen und Sprechen. Und so, wie die Worte bei Ferdinand Schmalz beschaffen sind - seltsame dingliche und konkrete Brocken und Happen - überkommt einen allein vom Zuhören ein Gefühl von Sättigung, mindestens von Sättigung.

frankfurter rundschau

 

Jakubaschk hat - zu unserer Sicherheit? - eine sphärentrennende Gaze zwischen Publikum und Bühne gespannt, die Spieler grell geschminkt, in kasperpuppenartige Kostüme gezwängt und sie angewiesen, die von Schmalz auf Rhythmus sortierte Sprache silbenweise den Körpern entschnippen zu lassen. 

Die Spieler treten auf, als wären sie humanoide Roboter mit einer nicht allzu komplizierten, allerdings ziemlich überspannten Mechanik. Ähnlich denken sie auch, verlieren ihre Einsichten in kleinen, fest eingeschweißten Portionen und lassen sie durch den kleinen Bühnenraum flippen wie Vollgummibälle. Es fehlen nur noch die Doing-, Flopp-, Platsch-, und Crahs-Geräusche. Stattdessen gibt es schunkeltaugliche und tangoartige Girtarren- und Akkordeonmusik, die das Geschehen noch mehr ins Spielbudenhafte rückt, wo es auch hingehört, wenn man nicht verzweifeln und die Nerven verlieren will. Das Publikum dankte ausgiebig für den Spaß.

berliner zeitung

 

Dass es ein skurriler Abend wird, signalisiert die Inszenierung von Ronny Jakubaschk von Anfang an. Der Jahrmarkt und der Zirkus sind nicht weit, wenn die ersten szenischen Miniaturen wie auf ein Karussell gesetzt ans Publikum vorgeschickt werden. Masken und Kostüme von Matthias Koch rufen die Erinnerung an alte Schwarzweißfotos wach. Alles ist grob gepixelt, grün und rot ausgeleuchtet und in übertriebenen Posen gespielt. Das passt gut zu der artifiziellen Sprache des Autors.

Den aus Legenden und Klischees zusammengeschusterten Charakteren steht es gut an, dass sie sich wie mechanische Aufziehpuppen bewegen. Anachronistisch wie die Gespenster in einer Geisterbahn wirkt das alles; die Musik von Bastian Bandt (manchmal volkstümliches Akkordeon) verstärkt diesen Eindruck. Und so wie sich die Gesten wiederholen, scheint auch die Geschichte in den immer gleichen Schleifen gefangen. Als sei jeder Bürgermeister verflucht, vom Wunsch nach Erfolg geblendet, einen Pakt mit dem Teufel einzugehen.

taz

 

Hinter Gaze agieren in der zugespitzt verfremdenden Inszenierung von Ronny Jakubaschk Rand-Figuren. Die geschraubten neoexpressionistischen Reden gehen dem Ensemble locker über die Lippen - die hier auch ein Thema sind. Am überzeugendsten gelingt die groteske Figurenüberzeichnung Thorsten Hierse als Gangsterer Andi.

inforadio

 

DT-Debütant Ronny Jakubaschk entscheidet sich für eine Art Gothic-Schauermärchen. Pausenlos tauschen Akkorden, Mundharmonika oder Gitarren (Musik: Bastian Band) sowie eine Vorliebe für spärliches (Zwie-)Licht (Licht: Peter Grahn) die Bühne in eine düster unheilvolle Atmosphäre. Schrille, mal karikierende, mal groteske, leicht historisierende, meist aus der Zeit und Welt gefallene Kostüme (Matthias Koch) tun ein Übriges. Das Spiel erfolgt hinter einem Gazevorhang, der Zuschauer bleibt auch physisch auf Distanz, als hätte das zu Sehende mit ihm nichts zu tun. Dort entspinnt sich alsbald ein Reigen schräger gestalten, überzeichneter, zerdehnt sprechender Figuren, die alle Aspekte unserer sich selbst nicht vertrauenden Welt sind, Nachtmenschen, Romantiker, Opportunisten.

Es ist Schmalz wie Jakubaschk zu verdanken, dass die Figurenzeichnungen zum Spannendsten gehören, was der Abend zu bieten hat. Insbesondere Harald Baumgartner als Bürgermeister sticht heraus: Sein Rudi ist skrupelloser Pragmatiker und rastlos Suchender zugleich, Baumgartner gibt ihn als harten Machtmensch und pubertären Verliebten. Und doch erfasst die Eindeutigkeit des Textes bald auch die Figuren. Hier jedoch zeigt sich die Stärke von Jakubaschks Zugriff: Seine Mischung aus Schauermärchen und fast Brüchiger Moritat, seine Beschwörung der Künstlichkeit hält den Text am Leben, weil er dem grandiosen Ensemble die Gelegenheit zum Spiel lässt und dem Text als ebensolches eine Freiheit verleiht, die er auf dem Papier nicht hat. Und so brechen sich durch die schnell ermüdende Eindeutigkeit der Botschaft – von der Notwendigkeit, unser Leben zu ändern, ist mehrfach die Rede – vor allem Fantasie und ein naiv-neugieriges Liebesbedürfnis Bahn, das dem Text zwar ein wenig in den Rücken fällt, ihn aber letztlich stärkt, indem es seine Schwarz-Weiß-Malerei in unterschiedlichsten Tönen einfärbt.

stagescreen.wordpress

 

Wie in einer Spieluhr tänzeln die Figuren vorbei. Wie in der Geisterbahn hüpfen sie durch die Travestie-Nummern. 

tip

 

In Berlin erlebt Schmalz´ philosophisches Heimat-Kriminaldrama eine sehr ambitionierte Inszenierung. Regisseur Ronny Jakubaschk hat in der Box des Deutschen Theaters eine Art wilhelminische Spieldose in Bewegung gesetzt: Die zu repetitiven Akkordeonklängen durchchoreographierte Formübung zerlegt die Szenen in mechanisch ruckelnde Wiederholungsbewegungen und verlegt sie ins frühe 20. Jahrhundert. Der Bürgermeister trägt Stresemann und knattert wie ein autokratisches Aufsagemonster, der Gangsterer Andi glänzt klemmig-knieweich mit Schmalzfrisur und Menjoubärtchen, während Isabel Schosnigs transsexuelle Fußpflegerin als romantisches Gründerzeitburgfräulein auftrumpft. Elias Arens´ dämonischer Herzerlfresser zuckt mit den Kiefern vampirreflexhaft ins Leere, die liebespragmatische Florentina wird mit flammend grüner Perücke in kokette Zeitlosigkeit gekleidet. Derart expressionistisch aufgeschrillt erzählt "der herzerlfesser" eine ferne Moritat wie aus Georg-Kaiser-Zeiten als ewig spukender Klapparatismus.

theater heute

 

Diese unglaubliche sprachliche Dichte und Vieldeutigkeit sind eine große Stärke. Doch manchmal überfordern sie den Zuschauer auch. Ab und an möchte man beinahe „Stopp“ rufen, um den letzten Satz in Ruhe wirken zu lassen oder noch einmal hören zu können, ihn zu ergründen, überhaupt gänzlich zu erfassen. Dass man als Zuschauer bei diesem Sprachzirkus nicht ganz den Kopf verliert, liegt vor allem an Ronny Jakubaschks Inszenierung und der überzeugenden Leistung seiner Darsteller: Jakubaschk setzt Schmalz‘ verschachteltem Text große Gesten, grelle Kostüme und bunte Perücken entgegen. Dabei wirkt diese Überzeichnung der Figuren nie unpassend, sondern trägt zu einer erstaunlichen Leichtigkeit und Komik der Inszenierung bei. Insbesondere Harald Baumgartner sorgt mit seiner Darstellung des biederen Provinzpolitikers, der nach Höherem strebt, für viele komische Momente. Wie ein großer Reigen dreht sich die Inszenierung immer schneller, bis sie den Zuschauer am Ende etwas atemlos, aber äußerst vergnügt zurücklässt.
unauf

 

 

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07.04.24

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karlsruhe

05.05.24

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01.,04.,16.07.24

  

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19.-21.06.24